Äpfel, Honig und ein Sahnehäubchen

Wie jeden Mittwochmorgen liegt auf der Anrichte bereits das aktuelle Angebotsheft. Daneben der Haustürschlüssel und zwei Zettel. Artikel und Preise sind in ordentlichen Lettern darauf vermerkt. Trotz der akribischen Planung ihres Wocheneinkaufs springt Brigitte Batzies aus Langmeil nicht sofort ins Auto und fährt die wenigen Kilometer nach Winnweiler in den Supermarkt. Stattdessen wartet sie geduldig – darauf, dass ihr jemand „eine Stunde Zeit“ schenkt.

Dieser Jemand ist für die 81-Jährige Erika Boss aus Winnweiler – eine eigentlich Fremde. Dennoch bereitet sie Batzies jede Woche das größte Geschenk, das ein Mensch einem anderen machen kann, nämlich Zeit. Einfach so! Kennengelernt haben sich die beiden Frauen über das im letzten Sommer neu angelaufene Nachbarschafthilfsprojekt „Eine Stunde Zeit“, von dem sich beide sofort angesprochen fühlten: Die eine als ehrenamtliche Helferin, die andere als Hilfesuchende. Seitdem begleitet Erika Boss Brigitte Batzies einmal wöchentlich zum Einkaufen. Auch an diesem Vormittag sitzt die 69-Jährige wieder in ihrem kleinen, gelben Auto, um Brigitte Batzies zum verabredeten Einkauf abzuholen.

„Wenn man in Rente ist, muss man etwas tun“, glaubt die

alige Sekretärin, „Sonst wird man träge und kommt nicht mehr aus dem Haus.“ In diesem Zuge etwas Gutes zu tun, schien Boss naheliegend. „Vor allem mag ich aber den Kontakt zu Menschen und ihre persönlichen Geschichten“, gesteht sie gut gelaunt auf der kurzweiligen Fahrt nach Langmeil. Einen Augenblick später parkt das kleine, gelbe Auto in einer gepflegten Wohngegend, und Boss wird herzlich von einer zierlichen Frau hereingebeten, die auf den ersten Blick keinesfalls hilflos wirkt. „Ich habe die Einkaufslisten schon vorbereitet. Meine Enkelin hat angerufen. Sie wünscht sich selbst gemachte Lebkuchen, deswegen müssen wir Lebkuchengewürz und Backpapier mitbringen“, berichtet Brigitte Batzies freudestrahlend und deutet auf das Angebotsheft in ihrer Hand. „Und wenn es keine Umstände macht, könnten wir dann vorher noch zur Post?“, erkundigt sich die 81-Jährige bei Erika Boss. Kein Problem!

Nachdem die beiden Frauen noch kurz einige Einkaufswünsche besprochen haben, geht’s auch schon los. „Wissen Sie, bis Anfang des letzten Jahres bin ich noch zu Fuß nach Winnweiler bis im Juno das Wunder für mich geschah – die Nachbarschaftshilfe“, erinnert sich die eloquente Seniorin auf der Fahrt. Denn Brigitte Batzies ergeht es wie vielen älteren Menschen in der ländlichen Region: Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist zwar nur etwa fünf Kilometer vom eigenen Zuhause entfernt, doch ohne Auto, Führerschein oder gut funktionierenden Nahverkehr stellt selbst diese kurze Distanz ein unüberwindbares Hindernis dar. Ihr Sohn und ihre Tochter leben nicht in unmittelbarer Nähe und können ihre Mutter daher nur selten zu Terminen fahren. Als sie von der Nachbarschaftshilfe gelesen habe, dachte sie: „Greif zu!“, erzählt Brigitte Batzies.

Im Supermarkt angekommen, wird ziemlich schnell deutlich: Es ist kein Einkauf „für“ eine Hilfsbedürftige, sondern ein Miteinander der beiden Frauen. Die Gespräche über Honig und Äpfel zeigen die Vertrautheit der beiden Frauen. „Ach, es ist einfach so schön, hier immer mal wieder auf Leute zu treffen, die ich sonst nur selten sehe“, schwärmt Batzies wenige Minuten später von einer Begegnung mit einer Bekannten. Ihre Augen strahlen vor Glück. Das bringt auch Erika Boss zum Lächeln, denn in diesem Moment erkennt sie immer wieder, wie vielseitig die Bedeutung ihrer geschenkten Zeit ist: So trägt sie mit ihrem Engagement dazu bei, dass sich die Wahl-Pfälzerin so lange wie möglich selbst versorgen kann.

Eine knappe Stunde später sind die Einkäufe bereits verstaut und die beiden Frauen sitzen bei einem Getränk in Brigitte Batzies Esszimmer. Als „Sahnehäubchen“ bezeichnen sie dieses nette Beisammensein. Manchmal sprechen sie dann auch darüber, warum sich die hilfesuchenden Menschen aus Winnweiler und den dazugehörigen Ortsteilen bisher eher zögerlich an das Nachbarschafthilfsprojekt wandten. Denn beide sind sich sicher, überall gibt es Menschen, egal ob jung oder alt, die ab und an Hilfe benötigen. „Ich hätte gerne noch mehr Leute, denen ich helfen kann. Ich glaube, so geht es vielen Helfern bei ,Eine Stunde Zeit’“, erzählt Erika Boss. Vielleicht sei die Hemmschwelle, sich zu melden, zu groß. „Dabei ist so ein offenes und einfaches Konzept – wirklich ein großes Geschenk. Ich persönlich mag die Verbundenheit zu den Helfern. Sie kennen oft die Situationen aus dem persönlichen Umfeld und zeigen großes Verständnis“, nennt Batzies die Vorteile, „Sich helfen zu lassen, ist also keine Schande!“

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